Vor kurzer Zeit bin ich auf den offenen Theismus gestoßen. Einige Gedanken ließ mich nicht los und ich musste darüber grübeln. Der offene Theismus ist eine noch sehr junge Reformbewegung aus den 90er Jahren. Der Kern des offenen Theismus sagt: „Gott hat keinen Plan für dein Leben“. Wie jetzt? Als gläubiger Mensch hört sich das nach einer Provokation an. Aber Fakt ist, dass der offene Theismus auf entscheidende Fragen eine neue Perspektive wirft. Das finde ich spannend.
Was er sagt
Dem offenen Theismus nach ist die Welt und deren Zukunft eine zumindest teilweise ergebnisoffene Geschichte. Gott als der Schöpfer der Menschen zeigt seine Liebe zu Ihnen gerade dadurch, dass er sich auf ein Abenteuer mit Ihnen einlässt, ohne fertiges Konzept, ohne klare Baupläne. Gott liebt die Menschen und gerade deswegen hat er keinen oder eben unendlich viele Pläne für sie. Seine Offenheit ist ein Wagnis, was er aus Liebe eingeht. Als Ebenbilder und Geschöpfe sind wir Menschen maßgeblich an dem Verlauf der globalen Geschichte und der einzelnen biographischen Details beteiligt. In einer persönlichen Beziehung zum Schöpfer gestalten Menschen ihr offenes Leben. Dabei hat Gott im Fokus, die Gemeinschaft zu den Menschen herzustellen und die Welt zu erneuern. Was für ein Brett!
Wo er herkommt
Der offene Theismus kommt von seinem Ursprung her aus amerikanisch, evangelikalen Kreisen. Dort wird er aber auch am meisten kritisiert, trotz, dass seine Begründer durchaus friedliche Absichten haben, Praktiker, Pastoren, Geistliche sind. Vermutlich die bekannteste Kritik ist „Gods lesser glory“ von Bruce Ware. Er und auch viele andere Kritiker werfen dem offenen Theismus vor, dass er Gott in seiner Größe und Macht komprimiert.
Der wohl bekannteste deutsche Theologe, der über den offenen Theismus schreibt, ist Manuel Schmid. Lange Zeit war er als Pastor und Theologe in der Franchise-Kirche ICF unterwegs. Er hat über den offenen Theismus promoviert.
Hier mal zu ein paar Fakts wie der offene Theismus seine Welt und die Bibel versteht:
Gott zeigt Gefühle
Wie könnte ein Gott, der sich der Zukunft zu hundert Prozent im Klaren ist, Gefühle zeigen? Der biblische Gott ist ein zutiefst erwartungsvoller Gott. Er steht in der Geschichte, lernt dazu. Gott formt die Tiere und führte sie dem Menschen zu, „um zu sehen, wie er sie benennen würde“ (vgl. Genes.2). Der Mensch ist für Gott ein wirkliches Gegenüber. Gott trifft gerade im Alten Testament viele „wenn, dann“ Aussagen oder verleiht seinen Hoffnungen Ausdruck.
Gott lässt auch mit sich reden. Abraham kämpft in Genesis, dass Sodom und Gomorra um weniger gottesfürchtiger Menschen Willen verschont bleiben. Gott geht auf Abraham ein und lässt sich in seiner Entscheidung beeinflussen. In der Geschichte um Jona und Ninive revidiert er sogar die Entscheidung seiner bedingungslosen Ansage, die Stadt wegen ihrer Gottlosigkeit zu zerstören. Wegen Gottes neuem Entschluss wird Jona, der das Ende Ninives verkünden sollte, letztendlich als Lügenprophet betitelt.
„Gott denkt in Szenarien und nicht in determinierter Zukunft“
Manuel Schmid, Vortrag „offener Theismus“ vom 25. März 2019, STH Basel
Auch lässt sich Gott enttäuschen. Das sieht man durch das Alte und Neue Testament hinweg. Gott ist eben auch frustriert oder zeigt Reue gegenüber seinen eigenen Entscheidungen. Gott reut einmal sogar, dass er die Menschen gemacht hat (vgl. Gen. 16). Gerade die Option Gottes auch negative Gefühle in Raum und Zeit zu durchleben ist eine aus Liebe ergriffene Option.
Wie sich Gott mächtig beweist
Der Allmachtsbegriff bekommt von den offenen Theisten einen neuen Touch. Gottes Allmacht ist nicht mehr das zu tun, was er sich vorher ausgedacht hat. Gottes Allmacht ist die Fähigkeit in der offenen, unberechenbaren Geschichte zu agieren. Dabei weiß er alles, was er wissen muss und sieht alles wie es in Wirklichkeit ist. Gleichzeitig blickt er in eine Zukunft als einen Raum von offenen Möglichkeiten. Dabei vertraut er sich selbst. Eine Voraussicht ist für Gott nicht nötig, um souverän zu entscheiden. Gleichzeitig wirkt er überall, ist sich der Kraft seiner Liebe bewusst. Die offenen Theisten kommen zu dem Schluss, dass es viel mehr Weisheit braucht zu lenken, was frei ist.
»Der Mensch kann sich an Neuem erfreuen: An neu geschriebenen Liedern, frisch verfassten Gedichten, originellen Malereien, unerwarteten Wendungen in Geschichten, spontanem Spiel, kreativen Tänzen usw. –, und er ist fähig, in der Begegnung mit dem Unerwarteten zu staunen, Abenteuer zu erleben und Überraschungen zu genießen. All dies ist einem im klassischen Sinne ›allwissenden‹ Gott nicht nur in dieser aktuellen Welt, sondern grundsätzlich nicht möglich, zumal Gottes umfassendes Vorauswissen zur Definition seiner Allwissenheit schlechthin gehören soll.«
Gregory A. Boyd: God of the Possible, 129.
Was das praktisch bedeutet
Der offene Theismus ist praktisch. Er löst wirkliche Probleme. Er macht auf eine neue Weise sprachfähig. Er ermöglicht es bei der Lesung gewisser biblischer Texte nicht eine Hintertür offen lassen zu müssen nach dem Motto: „und trotzdem ist Gott allmächtig“. Was ist mit dem Bittgebet? Macht keinen Sinn, wenn Gott eh schon alles determiniert hätte. Auf die Theodizee-Frage gibt der offene Theismus auch nochmal einen ganz anderen Blick. Wenn Gott alles Leid herbeigeführt oder vorherbestimmt hätte, würde er sich doch mitschuldig machen. Die Antwort ist aber, dass der Mensch eben frei ist und die Geschichte auch. Deswegen gibt es Moral.
Das Leben verläuft auch oft nicht auf geraden Wegen, sondern durch viele Unwägbarkeiten. Das ist nun mal eine praktische Wirklichkeit, die jeder kennt. Gott hat dort sicherlich einen Plan, aber ist offen in vielen Möglichkeiten und Szenarien. Das hat seelsorgerliche Bedeutung.
Was tut das in mir?
Ich finde viele Gedanken griffig. Ich lasse mein Gottesbild auch gerne von dem offenen Theismus berühren. Wie ich die Bibel verstehe gibt es Geschichtsideale, wie z.B. die perfekte Schöpfung. Ich denke auch, dass Gott in einem größeren Zusammenhang „nach Plan“ handelt. Gott sucht die Versöhnung, Wiederherstellung und das Blühen in allen möglichen Facetten. Sein Handeln ist ein Abbild dieser Gesinnung. Ich denke auch, dass Gott gerne möchte, dass wir als Menschen Gottes in einem ähnlichen Mindset agieren wie er. Uns davon verändern lassen. Vielleicht ist es auch so, dass Gott mehr darauf wartet, dass wir ihm in seinem Denken ähnlicher werden, also darauf, dass wir ihn im kleinsten Detail um Rat und Führung bitten. Da hat der offene Theismus einiges zu sagen, ist alltagsnah zu verstehen. Vielleicht gib es eben mehrere mögliche Entscheidungen. Wir entscheiden in Gottes Gesinnung, handeln im Sinne der Bibel und gestallten damit die Welt für und mit Gott. Das macht für mich viel Sinn.
Hi Nate,
interessante Gedanken. Beschäftigt mich auch schon einige Zeit… wusste bisher nur noch nicht, dass das ganze „offener Theismus“ heißt 🙂
Das was mich dabei stark herausfordert, ist der Gedanke des freien Willens. Wenn ich davon ausgehe – und das ist auch meine persönliche Überzeugung – dass Gott dem Menschen (und auch seiner gesamten Schöpfung) den freine Willen lässt, dann wird allein dieser Gedanke unweigerlich viele neue Fragen aufwerfen. Das bedeutet, dass er uns in keiner Weise manipuliert, oder? Liebe manipuliert nicht. Und Gottes Liebe gilt jedem Menschen, auch dem Schwerverbrecher, richtig? Wenn nun einer Böses gegen den anderen unternimmt, greift Gott nicht automatisch ein. Ansonsten würde der Gedanke, des freien Willens nicht mehr greifen, richtig?
Für mich ein Ansatz, das mich auch Leid ein Stückweit anders betrachten lässt…
Was ist, wenn Gott nicht eingreifen kann? Ein Gedanke, der uns sehr schwer fällt. Gott ist doch allmächtig! Aber je länger ich darüber nachdenke, umso mehr erkenne ich Gottes Macht darin.
So, ich hoffe ich habe nicht zu viele Fragen aufgemacht. Aber vermutlich bist du da sowieso schon mittendrin. Wünsche dir weiter gutes Entdecken der Schönheit Gottes.
LG, Joe
Hey Joe!
Vielen Dank für dein Kommentar! Gute Fragen die du da gestellt hast. Ich finde das voll wichtig auch diese Fragen zu stellen. Besonders mit dem Leid und in welcher Beziehung Gott dazu steht. Da kommen wir nun mal alle nicht dran vorbei. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass ein Gott, der nicht manipuliert, alles erdenklich Schlechte von uns abwendet. Ich finde auch den Gedanken des offenen Theismus inspirirende, dass das ein extremer Akt der Liebe Gottes ist! Grüße, Nate
3 ergänzende Gedanken:
1. Gottes Allmacht und Allwissenheit ist im Setting unseres Universums zu sehen. Seine Selbstbeschränkung kann nur im Immanenten und nicht im Transzendenten angedacht werden. Über Gott im Transzendenten können wir nichts aussagen und andenken.
2.Die Trinität ist ein gedankliches Vehikel aus der hellenistischen Zeit. Sinnvoll ist, sie als drei beobachtbare Wirkmächte des transzendenten Gottes im Immanenten zu ersetzen, und zwar erstens durch die Schöpfung („Gott über uns“), zweitens durch die von Jesus überbrachte Botschaft und sein Fortwirken als Christus („Gott unter uns“), drittens durch metaphysische Einwirkungen auf die Menschen („Gott in uns“).
3.Durch Jesu Botschaft und Tod am Kreuz haben wir berechtigte Hoffnung auf ein raum-zeitloses Sein bei Gott in der Transzendenz.